Die Menschheit steht am Scheideweg, sagt die Harvard-Ökonomin Shoshana Zuboff. Bekommt die Politik die wachsende Macht von Google, Facebook & Co. in den Griff? Oder überlassen wir uns der verborgenen Logik des Überwachungskapitalismus? Wie reagieren wir auf die neuen Methoden der Verhaltensauswertung und -manipulation, die unsere Autonomie bedrohen?
Shoshana Zuboff beschreibt die ökonomische, soziale und individuelle Bedeutung der beispiellosen Veränderung, die wir erleben. Sie zeichnet ein Bild der neuen Märkte, auf denen Menschen nur noch Quelle eines kostenlosen Rohstoff sind – Lieferanten von Verhaltensdaten. Noch haben wir es in der Hand, wie das nächste Kapitel des Kapitalismus aussehen wird. Meistern wir das Digitale oder sind wir seine Sklaven? Es ist unsere Entscheidung!
Die Financial Times sieht Shoshana Zuboff als die wahre Prophetin des Informationszeitalters. Für 3sat Kulturzeit ist sie ein der hellsichtigsten Vordenkerinnen des World Wide Web. Zweifelsohne wurde mit diesem Buch ein Standardwerk zu einer neuen Wirtschaftsform geschaffen, die sich Überwachungskapitalismus nennt.
Werfen wir einen Blick in das Buch damit wir etwa besser verstehen lernen warum gerade zahlreiche Interessensgruppierungen wie TikTok & Co. gegen das australische Verbot von Social Media < 16 Jahren mobil machen:
Was versteht man unter Überwachungskapitalismus?
Versuchen wir eine 1. Definition zu diesem Begriff:
Überwachungskapitalismus beansprucht einseitig menschliche Erfahrung als Rohstoff zur Umwandlung in Verhaltensdaten. Ein Teil dieser Daten dient der Verbesserung von Produkten und Diensten, den Rest erklärt man zu proprietärem Verhaltensüberschuss, aus dem man mithilfe fortgeschrittener Fabrikationsprozesse, die wir unter der Bezeichnung „Maschinen- oder künstliche Intelligenz“ zusammenfassen, Vorhersageprodukte fertigt, die erahnen, was sie jetzt, in Kürze oder irgendwann tun. Und schließlich werden diese Vorhersageprodukte auf einer neuen Art von Marktplatz für Verhaltensvorhersagen gehandelt, den ich als Verhaltensterminkontraktmarkt bezeichne. So erpicht wie zahllose Unternehmen darauf sind, auf unser künftiges Verhalten zu wetten, haben Überwachungskapitalisten es mittels dieser Operationen zu immensem Wohlstand gebracht.
Wer hat’s erfunden?
Die Geschichte des Überwachungskapitalismus begann 1995 an der Stanford Universität als zwei Informatik Studenten, Larry Page und Sergey Brin, den Grundstein zu Google legten:
Erfunden und perfektioniert hat den Überwachungskapitalismus Google, und zwar so ziemlich auf dieselbe Art, wie General Motors den Managementkapitalismus erfunden und zur Vollendung gebracht hat. Google war der Pionier des Überwachungskapitalismus sowohl in der Theorie als auch in der Praxis; Google hatte das Geld für Forschung und Entwicklung; Google bahnte hinsichtlich Experiment und Implementierung den Weg. Nur dass das Unternehmen diesen Weg heute nicht mehr alleine geht. Der Überwachungskapitalismus breitete sich rasch auf Facebook und Microsoft aus, und es gibt Hinweise darauf, dass auch Amazon diesen Weg eingeschlagen hat. Und für Apple stellt er als Bedrohung von außen wie als Auslöser interner Debatten eine unablässige Herausforderung dar.
Zuboff beschreibt die baldige Ausdehnung des Überwachungskapitalismus:
Der Überwachungskapitalismus beschränkt sich längst nicht mehr auf den dramatischen Wettbewerb zwischen den großen Internetfirmen, deren Verhaltensterminkontraktmärkte zunächst nur auf die Online-Werbung gerichtet waren; seine ökonomischen Imperative und Mechanismen sind zum Standardmodell praktisch aller webbasierten Unternehmen geworden. Und schließlich sorgte der Wettbewerbsdruck dann auch für die Ausdehnung in die Offline-Welt, wo dieselben Grundmechanismen, die Sie online Ihres Browserverhaltens, Ihrer „Likes“ und Klicks enteignen, auf Ihr Jogging im Park, auf Ihre Frühstückskonversation und auf Ihre Jagd nach einem Parkplatz gerichtet sind. Und die Verhaltensterminkontraktmärkte, auf denen heute Vorhersageprodukte gehandelt werden, erstrecken sich weit über die zielgerichtete Online-Werbung hinaus auf zahlreiche anderer Geschäftsfelder, so etwa Versicherungen, Einzelhandel, Finanzwesen und ein wachsendes Spektrum von Industrie- und Dienstleistungsunternehmen, die fest entschlossen sind, an diesen neuen und profitablen Märkten teilzuhaben. Egal, ob es um „intelligente“ Geräte für zuhause geht, um „verhaltensorientierte“ Versicherungsprämien oder irgendeine von Tausenden von anderen Transaktionen, wir sehen uns entmündigt und müssen dafür auch noch bezahlen.
Hier sei angemerkt, dass in der Praxis oftmals kostenlose Dienste z.B. von Google der Köder sind, um in Folge Verhaltensdaten sammeln und verkaufen zu können.
Unausweichlich?
Zuboff führt an, dass das Internet für die soziale Teilhabe im 21. Jhdt. unabdingbar geworden ist, es gleichzeitig aber vom Kommerz bestimmt wird, der wiederum dem Überwachungskapitalismus untergeordnet ist. Der gefühlte Zwang zur Teilhabe an allem, zwingt uns in Folge zu Entscheidungen, die eines freien, selbst bestimmten Individuums im 21. Jhdt unwürdig sind.
Wir entscheiden uns also aus Überdruss und Hilflosigkeit für die Unwissenheit.
Komplexe Sachverhalte werden oft nicht greifbar gemacht, sondern schöngeredet: „Ich habe ja nichts zu verstecken.“ Die Kopf-in-den-Sand Strategie bestärkt nur diese Unwissenheit anstatt sie aufzulösen.
Führende Manager von Google & Co. tragen bewusst zu dieser Unwissenheit bei indem sie die Bevölkerung absichtlich in die Irre führen. Als 2009 zum ersten Mal bekannt wurde, dass Google unseren Suchverlauf zeitlich unbegrenzt speichert, hatte Eric Schmidt – damals CEO von Google – den kommerziellen Imperativ als technische Notwendigkeit verkauft, um die konkreten Praktiken des Überwachungskapitalismus ebenso wie die spezifischen Entscheidungen hinter Googles spezialler Art von Suche zu verschleiern.
Eine Technologie ist nie Selbstzweck, sondern immer ökonomisches Mittel.
Wer sich dieses Zitat verinnerlicht, weiß, dass wirtschaftliche Ziele integraler Bestandteil sowohl bei der Entwicklung als auch im Einsatz von Technologie sind. Die Technologie stellt letztendlich nur die Mittel zur Profitmaximierung bereit. Das erklärt gut, warum Dienste wie Instagram, TikTok & Co. allesamt kostenlos angeboten werden (Umwegrentabilität durch Verhaltensüberschuss).
Kapitalismus vs. Überwachungskaptialismus
Die Grenze zwischen Kapitalismus und Überwachungskapitalismus definiert sich zum Teil durch Gewinnungsmethode und Verwendungszweck der gesammelten Daten.
Wenn eine Firma – mit Erlaubnis der Betroffenen – Verhaltensdaten einzig mit dem Ziel der Verbesserung eines Produkts oder einer Dienstleistung sammelt, praktiziert sie Kapitalismus, aber keinen Überwachungskapitalismus.
Von den 5 größten IT-Unternehmen der Welt praktizieren Google, Meta, Amazon und Microsoft eine Unkultur des Überwachungskapitalismus. Lediglich Apple hat bisher eine Grenze gezogen und versprochen, sich einiger der Praktiken zu enthalten.
Vom Kapitalismus zum Überwachungskapitalismus
Der Überwachungskapitalismus kann als völlig neue Spielart des Kapitalismus verstanden werden, in dem die flüchtigste Internetsuche, jedes „Like“, jeder Klick als Aktivposten beansprucht wird, den es zu „tracken“, „parsen“ und „monetarisieren“ galt.
Bald begannen die einschlägigen Unternehmen ihre Verstöße zum notwendigen Quidproquo zu erklären, als Gegenleistung für „kostenlose“ Internetdienste. Die Privatshäre, so sagten sie, sei eben der Preis, der zu zahlen sei für die üppige Ausbeute an Informationen, Connections und anderen digitalen Gütern – wann, wo und wie auch immer uns danach ist.
Der Überwachungskapitalismus versprach uns über eine magische Welt grenzenloser Informationsfülle hinaus die Erfüllung tausender Möglichkeiten und Bedürfnisse.
Bedrohung unserer Freiheiten
Den zahlreichen Versprechungen auf der einen Seite ging eine (unsichtbare) Bedrohung unserer Freiheiten einher. Während die Reduktion von Freiheitsrechten in der Vergangenheit jahrhundertelang nur in Gestalt der Staatsmacht vorstellbar war, so schlüpften Unternehmen mit phantasievollen Namen in diese Rolle und versprachen uns, zu geringen oder gar keinen Kosten mit genau dem zu versorgen, wonach uns sehnlich verlangt.
Im Rahmen dieser Entwicklung wurden positiv besetzte oder einfach nur banale Begriffe – „offenes Internet“, „Interoperabilität“ und „Konnektivität“ – klammheimlich vor den Karren eines Marktprozesses gespannt, bei dem der Einzelne unleugbar nur noch als Mittel zu den Marktzwecken anderer in Betracht kommt.
Undurchsichtige Nutzungsbestimmungen
Für Juristen fallen viele Nutzungsbestimmungen in die Kategorie von „Knebelverträgen„, weil sie den Nutzern Bedingungen aufzwingen. Wer sie nicht akzeptiert ist von der Nutzung eines bestimmten Dienstes völlig ausgeschlossen – es gibt keine Möglichkeit, nur bestimmten Teilen zu widersprechen.
Dies führte dazu, dass Nutzer bei Online-Verträgen einfach ohne zu lesen auf „Ich stimme zu.“ klicken.
Fachleute weisen darauf hin, dass die exzessive Länge und Komplexität dieser digitalen Dokumente nicht zuletzt dazu dient, den Nutzer von der Lektüre der Bedingungen abzuhalten.
Von einer aussagekräftigen Willensbekundung kann unter diesen Gesichtspunkten wohl kaum die Rede sein.
Die Rechtswissenschaflerin Margaret Radin spricht die Alice-im-Wunderland-Qualität solcher „Verträge“ an. Heilige Begriffe wie „Vereinbarung“ und „Zusage“, so könnte man sagen, die seit dem alten Rom so kritisch waren für die Entwicklung der Institution des Vertrages, sind zu „talismanischen“ Signalen verkommen, die „lediglich darauf hinweisen, dass die Firma, die solche Textbausteine einsetzt, den Adressaten gebunden sehen will“. Radin bezeichnet das als „privates Enteignungsrecht“ und spricht von einer einseitigen Beschlagnahme von Rechten ohne Einwilligung. Sie betrachtet solche „Verträge“ im moralischen wie im demokratischen Sinne als „Beeinträchtigung“ der Rechtsstaatlichkeit und der Institution des Vertrages – als eine Pervertierung, die die durch demokratische Prozesse garantierten Rechte des Nutzers neu strukturiert, „indem man diese durch das System ersetzt, das das Unternehmen einem aufzwingen will … Der Betroffene muss ein vom Unternehmen konzipiertes Rechtsuniversum betreten, wenn er mit dem Unternehmen eine Transaktion tätigen will“.
Alle Macht den Konzernen
Google war der Pionier der Überwachungskonzerne, die Daten als benötigten Rohstoff für die Herstellungsprozesse des Überwachungskapitalismus erkannt hat. Über die Jahre hinweg steigerte sich auch der Anspruch über diese Rohstoffe, um benötigte Größen- bzw. Massenvorteile zu erzielen.
Googles Erfindung der zielgerichteten Werbung ebnete den Weg zum finanziellen Erfolg des Unternehmens, legte aber auch den Grundstein für eine viel weitreichendere Entwicklung: die Entdeckung und Weiterentwicklung des Überwachungskapitalismus.
Begünstigt durch Deregulierungen eines neoliberalen Wirtschaftsmodells sowie durch Ereignisse wie 9/11 (= überwachungstechnischer Ausnahmezustand) schufen sich die Überwachungskapitalisten eigene Gesetze bzw. setzten sich über staatliche Rahmen zumeist ungestraft hinweg (erst in späterer Folge setzte es Milliarden Strafen seitens der EU oder auch US-Behörden).
So setzten Google wie Facebook sich nachdrücklich dafür ein, den Schutz der Privatsphäre im Web abzuschaffen, die Regulierung zurückzufahren, Gesetze zur Förderung der Privatsphäre zu verwässern oder gleich zu blockieren und jeden Versuch, ihre Praktiken einzuschränken, im Keim zu ersticken, weil derlei Gesetze existenzielle Bedrohungen für den reibungslosen Fluss von Verhaltensüberschuss sind.
Die Überwachungserträge flossen in Strömen, die Aktionäre sahen sich üppig belohnt und in Folge lösten die großen Technologie-Riesen die bisherigen Big-Player aus der Öl- und Telekommunikationsindustrie als wertvollste börsennotierte Firmen der Welt ab.
Dem englischen Guardian zufolge kassierten Google und Facebook 2016 ein Fünftel der weltweiten Werbeausgaben, fast doppelt so viel wie 2012. Einer anderern Rechnung zufolge zeichneten Google udn Facebook 2016 für fast 90 % des Wachstums bei den Ausgaben für Werbung verantwortlich. Und sie verdankten ihre anscheinend unanfechtbare Position dem Überwachungskapitalismus.
Aber nicht nur Google und Facebook erkannten die schier unglaublichen Möglichkeiten hinter der Nutzung des Verhaltensüberschusses von uns Konsumenten:
Von den drei nächstgrößeren Internetunternehmen – Microsoft, Apple und Amazon – war es Microsoft, das sich als Nächstes und entschiedener als die anderen dem Überwachungskapitalismus zuwandte, um seine Führungsposition auf dem Hightech-Sektor wiederherzustellen.
Microsoft zeigte vor wie man durch zwielichtige Geschäftspraktiken Nutzer noch mehr an sein Ökosystem bindet:
Wie so einige Experten rasch herausfanden, drängte das System den Nutzer dazu, die „Expressinstallation“ vorzunehmen, bei der die Voreinstellung den maximalen Fluss persönlicher Informationen an die Server des Unternehmens erlaubt. Eine technische Prüfung der Tech-Website Ars Technica enthüllte, dass selbst nach Rücknahme dieser Einstellungen und Abschalten wesentlicher Dienste wie Cortana das System weiterhin Verbindung mit dem Internet aufnahm und Informationen an Microsft weitergab. In einigen Fällen schienen darunter auch persönliche Informationen zu sein wie die Gerätekennung, Nutzerinhalte und Standortdaten.
Die Electronic Frontier Foundation (EFF) stellte neben einem regen Fluss von Webtracking und Telemetriedaten fest, dass das Microsoft sich dafür entschied, bestimmte Sicherheitsfunktionen untrennbar mit dem Fluss personenbezogener Daten zu koppeln.
Ein CEO eines anderen fraglichen Dienstleisters formulierte es einmal so:
„Wenn sie dafür bekommen, was sie wollen, geben die Leute ihre Privatsphäre auf.“
Was dagegen tun?
Für Gegenmaßnahmen braucht es zuerst ein Bewusstsein darüber wie sehr die Marktform des Überwachungskapitalismus in unser innerstes Privates eingedrungen ist.
Vereine wie Digitalcourage e.V. zeigen immer wieder z.B. unter https://digitalcourage.de/, dass jeder etwas zu verbergen hat auch wenn es uns Technologiekonzerne anders glauben lassen wollen.
Auch die Epicenter.Academy der Datenschutz NGO Epicenter.Works bietet eine Anlaufstelle zu diesem Thema in Österreich: https://epicenter.academy/
Und auch Blogs wie jener von linux-bildung.at leisten einen wertvollen Beitrag, um Themen für Privatpersonen als auch Schulen einfach(er) aufzubereiten.
Auf höherer Ebene ist die NGO NOYB als europäisches Zentrum für digitale Rechte zu nennen. Zahlreiche Klagen des Österreichischen Datenschutz-Aktivisten Max Schrems etwa zur Datenverarbeitung zwischen EU und USA oder gegen Facebook, Google und Microsoft haben für internationales Aufsehen gesorgt und einen Grundstein dafür gelegt, dass die Europäische Union ein weltweit viel beachtetes Datenschutzgesetz erlassen hat, die DSGVO.
Vor kurzem hat auch das Österreichische Bildungsministerium einen Beitrag zur Awarenes-Bildung beigetragen, indem es Vorteile von Freier Open Source Software im Sinne eines digital souveränen Bildungswesens beschreibt:
https://www.bmbwf.gv.at/Themen/schule/zrp/dibi/foss.html
Während immer mehr Experten zu einer Erhöhung der Digitalen Souveränität raten (https://www.heise.de/news/Open-Source-Software-Deutschland-muss-raus-aus-der-Abhaengigkeit-10188035.html) können aber auch wir als einfacher Anwender Schritte leisten, um wieder einen höheren Grad an digitaler Freiheit zu erlangen:
- Auseinandersetzung mit guter Literatur (z.B. https://linux-bildung.at/category/buchkritik/)
- Nutzung von Freier Open Source Software (Linux, Libreoffice, …)
- Reduktion bzw. Abkehr von nicht notwendigen Social Media Diensten (TikTok, …)
- Hinterfragen von problematischen Softwareprodukten und Bereitschaft zu Wechsel (z.B. Signal statt WhatsApp, E-Mail Adresse eines europäischen Anbieters statt outlook/gmail/icloud, …)
- Unterstützung des Aufbaus alternativer Softwaresysteme im privaten wie auch beruflichen Umfeld (Schulen, Verwaltung, Wirtschaft)
- Einsetzen für einen Digitalen Jugendschutz (z.B. als Eltern im Rahmen der Smartphone-Nutzung unserer Kinder)
Über all diese Themen zu reden ist ein erster wichtiger Ansatz. Ins Tun zu kommen aber der nächste notwendige Schritt! Fangen wir jetzt damit an – ein guter Vorsatz für das Jahr 2025!
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