Die Forderung der NEOS am 21.11.2020 für ein Ausbauprogramm von Open Source Lernplattformen (https://orf.at//stories/3190710/) haben wir seitens OSOS zum Anlass genommen, einen Blick hinter die zugrunde liegenden Sofware-Lizenzen zu werfen und zu schauen, wie viel Open Source in den angebotenen Lösungen drinnen steckt!
Das BMBWF bewirbt in seinem aktuellen Massive Open Online Course (MOOC) 4 Plattformen für den Unterricht: eduvidual.at | LMS.at | G Suite for Education | Microsoft 365
Das Serviceportal eEducation unterteilt diese Plattformen in Lernplattformen und Kommunikationsplattformen.
https://serviceportal.eeducation.at/
Eine Lernplattform bzw. ein Learning Management System (LMS) ist ein aus pädagogischen Bedürfnissen entwickeltes System zur Bereitstellung von Lerninhalten und zur Organisation und Begleitung von Lernprozessen.
Kommunikationsplattformen dienen zum Austausch zwischen SchülerInnen, LehrerInnen und Eltern. Im schulischen Bereich sind etwa EduFlow und SchoolFox zwei klassische Beispiele zu diesem Zweck.
Die genannten Plattformen im zuvor erwähnten MOOC fallen ganz genau genommen in folgende Kategorien:
- Lern- und Kommunikationsplattformen (eduvidual.at | LMS.at)
- Kommunikations- und Lernplattformen (G Suite | M 365)
Die Reihenfolge in der Begriffsdefinition spiegelt auch die Stärken der jeweiligen Plattformen wieder.
Zudem ist eine Kombination der genannten Plattformen möglich, um die Vorzüge der jeweiligen Systeme bestmöglich zu nutzen. Dies steht auch nicht im Widerspruch zum Wunsch des BMBWF zur Vereinheitlichung der Systeme an den Schulen (z.B. nur 1 Tool für Videokonferenzen).
Das Serviceportal eEducation bietet einen Überblick über den Funktionsumfang der angeführten Plattformen:
https://serviceportal.eeducation.at/index.php?id=841
In weiterer Folge möchten wir vor allem die Frage herausarbeiten, ob es sich bei den genannten Plattformen um Open Source Entwicklungen im Sinne von public money public code handelt.
eduvidual.at
Bei eduvidual.at handelt es sich um eine zentral vom Zentrum für Lernmanagement (ZLM) verwaltete Moodle-Lösung.
Diese steht allen Bundesschulen generell kostenlos zur Verfügung. Allen Pflichtschulen, die zumindest den eEducation Member Status aufweisen, können eduvidual.at für ein Jahr frei nutzen (https://eeducation.at/).
Das ZLM, das für die pädagogisch-didaktische Betreuung und Weiterentwicklung der Plattform zuständig ist, wird vom BMBWF mit 155.000 EUR pro Jahr finanziert (https://epicenter.works/content/herr-fassmann-wo-bleibt-das-geld-fuer-e-learning). Das Server-Hosting wird vom Bundesrechenzentrum (BRZ) im Auftrag des BMWBF durchgeführt.
Bei Moodle als Basis für eduvidual.at handelt es sich eine weltweit genutzte Lernmanagementsoftware mit über 238.000.000 Usern in über 235 Ländern (erfasst nach ISO 3166-1).
Moodle wird unter der Open Source Lizenz GPLv3+ entwickelt.
Das ZLM entwickelt alle Erweiterungen in Form von Plugins ebenfalls unter der Open Source Lizenz GPLv3.0 und stellt diese der Community unter einem eigenen GitHub-Repository zur Verfügung:
https://github.com/center-for-learning-management
Zu Moodle als Entwicklungs-Grundlage äußert sich Robert Schrenk (Leiter des ZLM) wie folgt:
Die Entwicklergemeinde von Moodle ist sehr aktiv, laufend werden neue Versionen mit Sicherheitsupdates und neuen Features publiziert. Die Long Term Support-Versionen erhalten 3 Jahre lang Sicherheitsaktualisierungen. Damit ist ein stabiler Betrieb mit langfristiger Planung gut abdeckbar. Siehe https://docs.moodle.org/dev/Releases. Die Entwicklergemeinde produziert außerdem zusätzliche Erweiterungen, die ein fast unendliches Spektrum an pädagogischen und organisatorischen Funktionen bieten. Viele davon werden durch das Moodle Headquarter einem Peer Review unterzogen und als qualitätsgeprüftes Plugin auf der Moodle-Homepage veröffentlicht. So wurden bereits über 1.750 Erweiterungen publiziert, die über die eh schon üppigen Kernfunktionen von Moodle hinausgehen (siehe https://moodle.org/plugins/).
Mag. Robert Schrenk (Leiter des ZLM)
Obwohl eduvidual.at eine bundesweite Moodle-Lösung darstellt, gilt es zu erwähnen, dass in Vorarlberg, Tirol und Oberösterreich über lokale Bildungsserver auch eigene Moodle-Instanzen betrieben werden. So nimmt beispielsweise der Tiroler Bildungsserver (tibs) seit jeher eine Vorreiterrolle an zentral zur Verfügung gestellten Services ein.
Unberücksichtigt in diversen Statistiken bleiben die an vielen Schulen lokal installierten Moodle-Installationen.
Mit Sommer 2021 soll die Migration der alten lernplattform.schule.at-Instanzen zu eduvidual.at abgeschlossen sein und in Folge werden dann ca. 1200 Schulen unter eduvidual.at vereint sein. Aufgeschlüsselt auf diverse Schultypen bedeutet das in etwa folgende Verbreitung: AHS ~ 70%, BHS ~ 41% und MS ~ 37%
Neben der Nutzung klassischer Funktionen eines Lernmanagementsystems ist in eduvidual.at auch die Schüler-Lehrer-Kommunikation z.B. per Videokonferenzen über BigBlueButton möglich.
Bei der angesprochene freien Videokonferenzsoftware BigBlueButton, die auch an Österreichs Universitäten und Pädagogischen Hochschulen eingesetzt wird, handelt es sich ebenfalls um eine Open Source Software unter der LGPL. Im Fall von eduvidual.at wird der Dienst von der Wiener Firma think-modular bereitgestellt. Das eingesetzt BBB-Moodle-Plugin stammt übrigens von der Universität Wien.
Der Einsatz von Open Source Software ermöglicht einen nachhaltigen Ressourcen-Einsatz durch gemeinsame Entwicklungen und gegenseitigen Austausch!
Inhaltlich bietet eduvidual.at einen so genannten Ressourcenpool aus Creative Commons lizenzierten Lerneinheiten. Diese dürfen nicht nur in eigene Kurse importiert sondern auch an eigene Bedürfnisse angepasst werden. Das ist insofern wichtig, da fremde Inhalte nur in wenigen Fällen 1:1 übernommen werden können.
Das e-Learning Netzwerk eEducation Austria nutzt eduvidual.at für die Redaktion der eigenen OER-Initiative „e-Tapas“. Bei dieser Initiative wird die Qualität der eingereichten Inhalte nach bestimmten Kriterien überprüft.
Der Ressourcenkatalog samt e-Tapas ist per Gastzugang frei verfügbar. Durch eine Anbindung an die EduThek können in eduvidual.at publizierte Lerninhalte auch anderen Schülerinnen und Schülern bzw. Lehrerinnen und Lehrern – unabhängig von der jeweils genutzten Lernplattform – zur Verfügung gestellt werden.
FAZIT:
Die Organisationsstruktur des ZLM, das der PH OOE und dem BMBWF unterstellt ist, wirkt etwas bürokratisch. Die Interoperabilität mit anderen staatlich geförderten Tools wie der EduThek oder Digi4School ist ausbaufähig.
Aus Sicht von OSOS Austria besticht eduvidual.at sonst durch Offenheit in rechtlicher, technischer und inhaltlicher Hinsicht!
Langjährige Erfahrungen aus der Moodle Community Austria fließen regelmäßig in die Weiterentwicklung von eduvidual.at ein und tragen dazu bei, ein sehr praxisorientiertes System gestalten zu können.
Der Ansatz der zentralen Administration von Moodle wurde klug gewählt und die vielen Anpassungen und Erweiterungen (zu 100 % Open Source) bewirken eine durchdachte Usability.
LMS.at
LMS.at, das von der Firma Knowledge Markets (KM) entwickelt wird, basiert auf der an der Wirtschaftsuniversität Wien auf Basis von DotLRN- und OpenACS-Technologie entwickelten Lernplattform Learn@WU.
Analog zu eduvidual.at erfolgt das Server-Hosting im Bundesrechenzentrum (BRZ) unter Einhaltung höchster Datenschutz-Standards.
Ursprünglich für Burgenländische Landesschulen entwickelt, steht LMS.at seit 2019 durch eine Vereinbarung mit der NÖ Bildungsdirektion auch allen Niederösterreichischen Pflichtschulen zur Verfügung.
Alle Bundesschulen dürfen LMS.at kostenlos nutzen.
Alle anderen Schulen – insbesondere Landesschulen aus Kärnten, Oberösterreich, Salzburg, Steiermark, Tirol, Vorarlberg und Wien – haben die Möglichkeit, LMS.at nach einem kostenlosen Probejahr gegen Entrichtung einer jährlichen Nutzungsgebühr voll zu nutzen.
Eine hohe Verbreitung findet LMS.at nicht nur bei den Pflichtschulen, sondern auch bei den berufsbildenden höheren Schulen. Konkrete Zahlen wurden uns leider nicht zur Verfügung gestellt.
LMS.at stellt ein Service dar, das auf dem GPL-lizenzierten Open Source Framework OpenACS aufbaut. Eigene Weiterentwicklung fließen dann in die Community zurück, wenn deren Qualität ausreichend gesichert wurde.
Inhaltlich bietet LMS.at eine Vielzahl an so genannter OTP (Opportunity to Practice) Lerninhalte an. Diese stehen allen registrierten Usern in der Plattform kostenlos zur Verfügung – also auch jenen Schülerinnen und Schülern, die an ihrer Schule nicht LMS.at nutzen.
Der Content wird zentral verwaltet und kann 1:1 in einen eigenen Kurs übernommen werden. Eine Modifikation des Contents an die eigenen Bedürfnisse ist nicht möglich.
Das Selbstlernkonzept OTP – Opportunity To Practice ist nahtlos in LMS.at integriert und sieht vor, dass Schüler/innen ihre individuellen Kompetenz- bzw. Lerndefizite identifizieren und mit den zur Verfügung stehenden Aufgaben und Übungen diese Inhalte eigenständig erlernen oder festigen. Die Schüler/innen können damit im eigenen Lerntempo mit persönlicher Lernstatistik und -fortschrittskontrolle nicht nur zeitlich unabhängig, sondern auch unabhängig von Lehrenden, den individuellen Bedürfnissen entsprechend lernen.
https://lms.at/info4direktionen
Wünschenswert wäre jedoch die Bereitstellung der Lerninhalte als OER (open educational ressources) etwa über die Schnittstelle zur EduThek, um auch in anderen Plattformen genutzt werden zu können.
FAZIT:
Aus Sicht von OSOS Austria wartet LMS.at mit langjähriger Erfahrung in Österreichs Bildungswesen auf!
Ein eigenes Open Source Repository könnte eigene Entwicklungen an LMS.at noch sichtbarer machen! So war es uns nicht möglich, Eigenentwicklungen rund um das Kern-Framework als Open Source zu identifizieren.
Verwunderlich erscheint die Tatsache, dass die Domain LMS.at nicht im Namen des BMBWF registriert ist, sondern auf Knowledge Markets als Firma ausgestellt ist.
Die Angebote der US-Cloud-Anbieter werden auf Grund des fehlenden Open Source Bezugs nur kurz beleuchtet. Es gilt hier neben massiven Datenschutz-Bedenken festzuhalten, dass es sich nur untergeordnet um Lernsysteme handelt und auf Grund der geschlossenen Architektur keine Anpassungen basierend auf pädagogischen Erfordernissen möglich sind. Gerade diese Anpassbarkeit ist das Um-und-Auf von freien Open Source Lernplattformen!
G Suite for Education
Google Classroom ist eine Plattform zur digitalen Abwicklung von Online-Übungsaufgaben mit der Möglichkeit zur einfachen Kommunikation bei Problemen und Rückfragen. Videokonferenzen können mit Google Meet abgewickelt werden.
Zur Nutzung von Google Classroom ist ein G-Suite-for-Education-Konto erforderlich.
Während in den USA die Google G-Suite führend im Bildungsmarkt ist (z.B. bedingt auch durch die hohe Verbreitung der Chromebooks), nimmt sie in Österreich noch eine untergeordnete Stellung ein.
Die Google-Dienste werden unter einer proprietären Software-Lizenz entwickelt wobei die exakten Lizenzbestimmungen undurchsichtig sind.
Google-Meet beispielsweise ist als Freemium deklariert, wobei hier nur subsumiert ist, dass das Basisprodukt gratis angeboten wird, während das Vollprodukt und Erweiterungen kostenpflichtig sind.
Microsoft 365
Microsoft Teams (abgekürzt MS Teams oder nur Teams) ist eine von Microsoft entwickelte Plattform, die Chat, Besprechungen, Notizen und Anhänge kombiniert und das digitale Arbeiten in Gruppen unterstützen soll.
Der Dienst ist in die Microsoft 365-Suite integriert, die Österreichischen Schulen per Generallizenz des BMBWF zur Verfügung gestellt wird.
Microsoft hat es bei Teams perfekt verstanden, seine jahrelange Erfahrung mit der Videotelefonie Skype auszuspielen, um diese Plattform (bedingt durch die COVID-19-Pandemie) als am schnellsten wachsende Business-Applikation der Microsoft-Geschichte am Markt zu etablieren.
Teams wird unter einer proprietären Software-Lizenz entwickelt.
Die im Schulsystem verwendeten Produkte fallen seit Herbst 2020 in das Microsoft 365 A3-Lizenzmodell. Für Privatpersonen können die Kosten nach Ablauf der Ausbildung hier in Erfahrung gebracht werden: [Kosten]
Überblick Lizenzen
eduvidual.at | LMS.at | G Suite | Microsoft 365 |
GNU GPLv3+ | Kern: GPL | proprietär | proprietär |
Randbemerkung
Obwohl Microsoft 365 an Österreichs Schulen extrem beworben wurde und wird, ist der Tenor vieler Schulen, die sowohl Microsoft 365 als auch die G-Suite for Education einsetzen jener, dass im direkten Vergleich die Google Dienste deutlich komfortabler im täglichen Einsatz bewertet werden.
Diese Aussage stützt sich auf Berichte der Arbeitsgemeinschaften für Informatik an den AHS und zeigt sehr deutlich, dass der Grad der Verbreitung nicht automatisch auch ein qualitatives Maß darstellt. Hier spielen auch historische Einflüsse (viele Entscheidungsträger von heute sind in einer Microsoft dominierten Ära aufgewachsen) sowie gezielte Werbung eine Rolle.
Nichtsdestotrotz gilt es festzuhalten, dass sowohl die Dienste von Microsoft als auch Google (und genau genommen ist auch Apple hinzuzunehmen) ihre Kernfunktion im wesentlichen gut erfüllen. Wobei erst heute auf orf.at wieder ein Artikel über die Doppelmoral betreffend des Datenschutzes veröffentlicht wurde:
https://orf.at/stories/3190927/
Technologie im Bildungsbereich muss jedoch am Mehrwert für Lernprozesse gemessen werden. Das SAMR-Modell von Puentedura (2006) beschreibt sehr schön die verschiedenen Stufen hin zu einer Veränderung und Neudefinition von Lehraufgaben, die das Potential digitaler Technologien entsprechend ausschöpfen.
Während die höchsten Stufen eines technologisch unterstützten Lernprozesses – Modification und Redefiniton – etwa bei Moodle erreicht werden können, sucht man derartige Aktivitäten in Plattformen wie MS-Teams, die aus dem klassischen Büro Umfeld kommt, vergeblich.
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