Im Oktober 2020 ist das Buch „Die Katastrophe der digitalen Bildung: Warum Tablets Schüler nicht klüger machen“ von Ingo Leipner erschienen.

SILICON VALLEY:WARUM DIE TECH-ELITE IHRE KINDER AUF DIE WALDORFSCHULE SCHICKT
Die Coronakrise zwang Schülerinnen und Schüler ins „Homeschooling“. Online-Lernen schien das Gebot der Stunde zu sein. Doch lernschwache Kinder wurden dabei benachteiligt und selbst viele ältere Schüler scheiterten am eigenständigen Lernen. Und: Ein Gros der Eltern geriet massiv unter Druck, Heimschule und Beruf unter einen Hut zu bringen. Gleichzeitig schossen die Bildschirmzeiten in die Höhe – nicht nur für schulische Zwecke, sondern für Computerspiele und soziale Medien. Gibt es in Deutschland einfach zu wenig Tablets und Online-Angebote für Schüler? Vielleicht … Doch die Ursachen der digitalen Bildungsmisere liegen tiefer. Selbst die »beste aller Digitalwelten« kann keine zugewandten und inspirierenden Lehrer ersetzen! Menschen lernen am besten vom Menschen, ohne Computer. Im Silicon Valley wurde das bereits verstanden. Ingo Leipner zeigt, wie sehr die Debatte über digitale Bildung ein Holzweg ist – und das sogar in Zeiten einer Pandemie.

Ein gewisser Alarmismus bei der Digitalisierung ist durchaus angebracht, weil man auch in der Schule mittlerweile das Gefühl bekommt die Digitalisierung ist alternativlos und es kann nicht schnell genug gehen. Das hat ja auch die Geräteinitiative ganz gut aufgezeigt – Geräte an SuS. auszuteilen ohne ein erkennbares Konzept, ohne einen messbaren Mehrwert, nur der Digitalisierung willen, ist wenig sinnvoll.
Dass Homeschooling und Distance-Learning nicht optimal funktionierten, haben viele von uns selber erfahren. Das mag zum Teil an der Infrastruktur gelegen haben, aber Leipner belegt anhand von Studien, dass digitales Lernen auch da nicht funktioniert, wo die technischen Bedingungen optimal sind. Ein Kapitel erläutert das ausführlich, in dem er sich mit den niederländischen Steve Jobs-Schulen näher auseinandersetzt. Nach einigen Jahren sind diese Schulen nicht nur finanziell sondern auch pädagogisch gescheitert.
Anschaulich gibt es auch Einblicke in Learning Analytics [1], einer Technologie die totale Transparenz, totale Kontrolle über Lernfortschritte verspricht. Davon träumen Enthusiasten digitaler Bildung. Leipner spricht auch von Totalitärer Bildung.


Die „individualisierten“ Programme leben von einem gewaltigen Datenstaubsauger, dem Rückkanal („Learning Analytics“). Er ist nötig, damit das Programm die richtige Schublade öffnet, in der eine passende Aufgabe liegt. Vorher hat es die Leistung des Schülers in allen Details analysiert. Eine Technologie, die zum Bestandteil lebenslanger Überwachung werden kann.

https://www.diagnose-funk.org/aktuelles/artikel-archiv/detail&newsid=1615

Interessant auch jenes Kapitel, das zeigt, wie und warum Firmenchefs, Softwareentwickler und andere privilegierte Eltern aus dem Silicon Valley versuchen ihre Kinder von der Digitalisierung fernzuhalten. Mitarbeiter großer Tech-Konzerne wie Google, Apple, Meta schicken ihre Kinder vermehrt an Schulen, die auf eine technologiefreie Lernumgebung setzen. Die Programmierer und Unternehmer haben die Sorge, dass digitale Technologien die Konzentrationsfähigkeit und Entwicklung ihrer Kinder nachhaltig beeinträchtigen. [2]

In Kapitel 13 – Indoktrination 2.0 – wird der Einfluss der IT-Konzerne Apple, Google & Microsoft kritisch beleuchtet. [3]
Neben Apple drängen etwa auch Microsoft und Google in die Schulen. Sie bilden Lehrerinnen fort, zertifizieren ganze Schulen oder verschenken Software und Geräte – offiziell ohne jedes wirtschaftliche Interesse. Um das „Apple distingushed school“ Zertifikat zu bekommen, muss eine Schule strikte Vorgaben des Konzerns einhalten: Die Schulen müssen mindestens 75 Prozent ihres Kollegiums zu Apple-Lehrern fortbilden, die dann besondere Kenntnisse von Geräten und Software haben. Alle Lehrer*innen und Schüler*innen nutzen mindestens seit zwei Jahren iPads oder Mac-Laptops, Apps werden in den Unterricht eingebunden. Indem die Unternehmen ganze Schulen zertifizieren, verbreiten sie ihre Marke und ihren Einfluss und machen sowohl die Schülerinnen als auch Schulen von ihrer Software abhängig. Schulen würden unbeabsichtigt ihre Pädagogik auf das ausrichten, was Unternehmen wie Apple, Google oder Microsoft sich ausgedacht haben.


Es wäre naiv zu glauben, IT-Konzerne würden so viel Geld ausgeben, weil sie philanthropisch für die Rettung der Menschheit kämpfen.

Aus dem Buch

Das Buch beleuchtet die digitale Bildung von vielen verschiedenen Seiten und macht dadurch erkennbar, dass und warum sie in einigen Bereichen eine Katastrophe ist.

Eine Pflichtlektüre für alle die mit Schule zu tun haben.

[1] Mehr zu Learning Analytics: https://www.aufwach-s-en.de/totalitaere-bildung/
[2] Weitere Beispiel: https://www.tagblatt.ch/leben/bildschirmfrei-ist-das-neue-bio-warum-die-programmierer-im-silicon-valley-ihre-kinder-computerfrei-erziehen-ld.1107643
[3] Weitere Beispiele: https://www.sueddeutsche.de/bildung/apple-bildung-schule-einfluss-1.4787334

https://www.morawa.at/detail/ISBN-9783868818048/Leipner-Ingo/Die-Katastrophe-der-digitalen-Bildung

Kategorien: Buchkritik

2 Kommentare

Rene Schwarzinger · 06.08.2022 um 22:27

Ein sehr empfehlenswertes Buch, das die oft überschwängliche und unreflektierte Mediennutzung in unserer Gesellschaft aufgreift und dabei zeigt, dass unsere Kinder viel zu früh mit Smartphones in ihrer Entwicklung mehr gebremst als gefördert werden. Es bleibt zu hoffen, dass irgendwann ein Jugendschutz Einzug hält, der die Nutzung von Smartphones und Social Media wirksam auf ein Alter einschränkt, das für die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen gesund ist und nicht ökonomischen Interessen riesiger Konzerne dient.

FL62 · 17.01.2023 um 18:43

Ich unterrichte dieses Jahr meine zweite Ipad-Klasse (Gymnasium 9) in Mathematik. Resultat: Ich könnte genauso gut zu Hause bleiben, weil die Kinder nichts mehr lernen, von wenigen Ausnahmen abgesehen. Dass die Tablets die Kinder nicht klüger machen, damit könnte ich leben. Fakt ist, dass diese Reform – wie alle Reformen der letzten 20 Jahre – vor allem den schwächeren Schülern schadet. Nur wird das niemand zugeben, und im Zweifelsfall ist der Lehrer schuld.

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