Sarah Spiekermann leitet seit 2009 das Institut für Wirtschaftsinformatik & Gesellschaft an der Wirtschaftsuniversität Wien (WU Wien). Sie ist eine anerkannte Wissenschaftlerin, Autorin, Vortragende und Beraterin für digitale Ethik. Sie hat mehrere Bücher in diesem Bereich veröffentlicht. [Quelle: https://sarahspiekermann.com/de/vita-de]. Im folgenden soll ihr neuestes Buch „Digitale Ethik“ kurz vorgestellt werden.

Zielsetzung

Bei digitaler Ethik geht es nicht darum, Unternehmen zu erklären, wie sie mit ein paar ethischen Feigenblättern noch mehr Geld verdienen können, sondern wie eine wertvolle (digitale) Zukunft für alle Beteiligten erreicht werden kann. Die Autorin nennt dies Eudaimonia (altgriechisch: gutem (eu) & Geist (daimon)).

Status Quo

Digitale Ethik spielt derzeit bei der Technologieentwicklung leider oft keine oder nur eine untergeordnete Rolle. Vielmehr wird diese von 3 Fragen getrieben: 1) Welche technischen Neuerungen kommen auf uns zu, auf die wir uns einstellen müssen? 2) Was macht die Konkurrenz? 3) Wie schnell müssen wir mit der Umsetzung sein? Gepaart mit „release early, release often“ sind wir Konsumenten oft Getriebene fraglicher Innovationen.

Positive Werte werden unseren digitalen Produkten und Services heute zu oft durch Analysten oder gutes Marketing nachträglich angedichtet; zum Beispiel die Idee, Software könnte „intelligent“ sein oder Datenbanken besäßen Wissen. Aus meiner Sicht entfalten echte Innovationen, die uns wahren Fortschritt bringen, positive Werte, die kein derart übertriebenes Storytelling brauchen.

Sarah Spiekermann, Digitale Ethik

Werte

Das Verhalten von uns Menschen ist geprägt durch positive Werte/Tugenden (Mut, Loyalität, Großzügigkeit, Ehrlichkeit, Willensstärke, Liebe, …) und negative Laster (Faulheit, Unehrlichkeit, Oberflächlichkeit, Stolz, Selbstüberschätzung, …). Plattformen wie Facebook verleiten zum Beispiel viele Leute dazu, Neid zu empfinden. Spielewelten machen uns süchtig. In Folge leiden Werte wie Freundschaft, Kooperationsfähigkeit und Respekt. Fortschritt in der Digitalisierung entsteht aber durch Wertschöpfung!

Bewusst verwende ich den Begriff „Wertschöpfung“, den ich etwas anspruchsvoller auslege, als die herkömmliche Wirtschaftswissenschaft es tut. Mir geht es hier nämlich nicht nur um die Differenz zwischen Aufwand und Ertrag in Form von Geld, wie man Wertschöpfung dort regelmäßig modelliert und misst. Vielmehr geht es mir um die Frage, wie es gelingen kann, dass wir durch die Digitalisierung die gefühlten menschlichen und gesellschaftlichen Werte fördern, deren Erleben sich kaum in Geld umrechnen lässt. Zum Beispiel frage ich mich, wie man digitale Systeme so bauen und nutzen kann, dass sie das menschliche Wissen aufbauen helfen, Freundschaften unterstützen, menschliche Freiheit und Privatheit erhalten und zum gegenseitigen Respekt beitragen.

Sarah Spiekermann, Digitale Ethik

Die Autorin führt aus, dass wir aus vorgefertigten Denkschemata ausbrechen und stattdessen mehr unsere Alltags- und Beziehungswirklichkeit um uns herum betrachten müssen.

Durch die haarscharfe Beobachtung und Beschreibung von dem, was sich in einem Raum zwischen uns, den Menschen, und den Dingen abspielt, erkennen wir, was wirklich ist.

Sarah Spiekermann, Digitale Ethik

Diese wirkliche Erkenntnis sollte für uns Triebfeder für unser ethisch-moralisches Handeln und Urteilen sein und nicht etwaige vorgefertigte Dogmen irgendwelcher Konzerne.

Der Wert Freiheit

Während der Wert der Freiheit mit 9/11 (temporär) erloschen zu sein scheint und der Laie Unverträge überwachungskapitalistischer Konzerne hinnimmt, gibt es zum Glück doch noch Personen und Gemeinschaften, die vehement für dieses hohe Gut eintreten.

So kann ein IT-System beispielsweise so gebaut werden, dass es allen technischen Voraussetzungen für Privatheit gerecht wird. Es kann die Daten verschlüsseln, dezentral verarbeiten und anonymisieren. Allerdings erkennt das nicht jeder Laie sofort. Dieser Wert der Privatheit wird vom Laien oft gar nicht wahrgenommen. […] Ein Profi hingegegen, den es interessiert, wie Maschinen in ihrem Inneren funktionieren, wird diese Wertqualität goutieren, weil er oder sie eine geschulte Wahrnehmung für diese hat und ihr wahrscheinlich Aufmerksamkeit schenkt. Als Folge dieses Wissens wird er oder sie das so gebaute System vorziehen, so wie viele meiner IT-Freunde sich zu ihrem Linux-Rechner hingezogen fühlen, weil sie mit ihnen die Wertqualität der Kontrolle über alle Rechnerfunktionen verbinden, die Apple- und Microsoft-Geräte nicht zu bieten haben.

Sarah Spiekermann, Digitale Ethik

BIO in der Informatik

Während eine biologisch-dynamisch geführte Landwirtschaft lange Tradition hat und die klassische Ingeneurswissenschaften eine langen Tradition bei der sicheren und verlässlichen Entwicklung ihrer Systeme aufweisen so sind diese Sorgfaltswerte in der Informatik nur wenig kultiviert.

Die Philosophie vieler Informatiker, Digitales „im Sprint“ zu entwickeln und möglichst „früh und schnell“ auf den Markt zu werfen (release early, release often), auch wenn man weiß, dass die Dinge nicht huntertprozentig funktionieren, verführt sogar klassische Ingeneurteams häufiger dazu, ihre Sorgfaltspflicht zu vernachlässigen.

Sarah Spiekermann, Digitale Ethik

Die Autorin spielt dabei auf den VW-Diesel-Skandal an und kritisiert, dass das Innovationsschiff IT oft nur noch auf Wellen reagiert, statt einem Kurs zu folgen.

Auch wir von OSOS Austria haben schon einmal den Bezug zu BIO in der Informatik hergestellt, wobei der Wertebezug in Form von Freier Open Source Software gegeben ist:

Fazit

Fortschritt zeigt sich darin, welche Werte für Menschen geschaffen werden indem das Gemeinwohl in das Zentrum gerückt wird und nicht die Rendite oder irgendein Automatisierungsindex.

Am Scheidepunkt zwischen wertvollem Fortschritt und Rückschritt, zwischen Aufstieg und Fall werden es Managementtugenden und ein empathisches Menschenbild sein, die über die Zukunft entscheiden.

Sarah Spiekermann, Digitale Ethik

Gleichzeitig sollten wir uns von dem reflexartigen Denken „neu + technisch = gut“ und „alt = schlecht“ verabschieden. Analoge ausgereifte Prozesse führen oft zu besseren Qualitäten und zu nachhaltigeren Renditen.

Sowohl EU-Parlament als auch EU-Kommission haben die Notwendigkeit erkannt, sich mit der Regulierung von autonomen IT-Systemen zu beschäftigen und dabei sehr viele Werte definiert: Sicherheit, Freiheit, Privatheit, Würde, Selbstbestimmung, Gleichheit, Gerechtigkeit, Nichtdiskriminierung, Transparenz, Autonomie und Verantwortung.

Diese Werte müssen auch Einzug in die Ausbildung von Universitäten halten, denn nur so kann gewährleistet werden, dass Nachwuchsinformatiker ebenso wie vorhandene Führungskräfte auf ihre ethischen Aufgaben, auf juristische Grundlagen und auf ein tiefes Werteverständnis besser vorbereitet werden.

Letztendlich steht jeder einzelnen Bürger in der Verantwortung für Werte wie Demokratie, Freiheit oder wertorientierte IT einzutreten.

Wenn wir als Bürger und Bürgerinnen daher nicht selbst täglich kleine Schritte gehen, um unsere Werte bewusster zu leben, zu schützen und sie von Unternehmen als Kunden einzufordern, dann können wir nicht wirklich auf einen menschengerechten Fortschritt hoffen. Es wird also darum gehen, wie wir als Einzelperson in unseren unterschiedlichen Rollen (als Privatpersonen, Kunden, Mitarbeiter oder Unternehmer) eine digitale Ethik im 21. Jahrhundert leben könnten und sollten.

Sarah Spiekermann, Digitale Ethik

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