Hierbei handelt es sich um das bereits vierte Buch zu den Auswirkungen der neuen elektronischen Medien auf Kinder und Jugendliche von Manfred Spitzer (deutscher Neurowissenschaftler und Psychiater).

Ablenkung durch Nähe

Untersuchungen zeigen, dass alleine die Präsenz des Smartphones am Schreibtisch oder in der Tasche negative Auswirkungen auf das Arbeitsgedächtnis aufweist. Besser wird die Situation, wenn das Ablenkung verursachende Gerät in einem anderen Raum ist – frei nach dem Motto: aus dem Raum, aus dem Sinn.

Technologoische Selbstüberschätzung

Spitzer beschreibt, dass die Millenials [Generation Y oder Millennials bezeichnet die Bevölkerung, die im Zeitraum der frühen 1980er bis zu den späten 1990er Jahren geboren wurde] zuversichtlicher, selbstbewusster und Hals-über-Kopf in sich selbst verliebt seien (30 Prozent mehr als 25 Jahre zuvor), dazu jedoch überhaupt keinen Grund haben. Im Gegenteil wird eine geringere Bildung, größere Oberflächichkeit, jämmerliche Armseligkeit und geringere emotionale Reife festgestellt. In diesem Zusammenhang wird sogar der Begriff Narzissmus im Sinne überzogener Selbstverliebtheit verwendet.

Narzissten fehlt es an Rücksichtnahme und emotionaler Wärme. Menschen sind aber Gemeinschaftswesen, die nur in Gemeinschaft wirklich glücklich sind. Spitzer hält dazu fest:

Elektronische Medien und vor allem Smartphones trennen uns mehr, als sie uns zusammenbringen – das sollten wir stärker bedenken.

Manfred Spitzer, Die Smartphone Epidemie

Phantom-Vibration

Passend zum Thema Ablenkung durch Nähe weist Spitzer auf das Phänom der Phantom-Vibrationen hin (siehe auch: Buch iDisorder, 2012, Larry Rosen):

Haben Sie jemals Vibrationen in Ihrer Tasche empfunden, aber als Sie Ihr Handy ergriffen, mussten Sie feststellen, dass weder ein Anruf eingegangen war, noch dass irgendetwas anderes passiert war, das einen Vibrationsalarm hätten auslösen können?

Manfred Spitzer, Die Smartphone Epidemie

Heute hören zwei Drittel aller Handy-Nutzer ihr Smartphone klingeln, wenn es nicht klingelt und auch das Phänomen des Vibrationsalarms – selbst wenn das Smartphone nicht aktiv ist bzw. gar nicht in der Tasche steckt – ist stark verbreitet.

Wenn man bedenkt, dass eine Person täglich ca. 50 bis 150 Mal auf sein Smartphone schaut – also etwa alle 20 Minuten – dann darf dieses Symptom übermäßiger Nutzung von Mobiltelefonen (mit Vibrationsalarm) nicht verwundern.

Bedeutsam wurde diese Empfindungsstörung jedoch erst, weil es mittlerweile Milliarden von Smartphones gibt und diese sehr häufig verwendet werden. Es verhält sich mit Smartphones und Phantom-Vibration also ähnlich wie mit Limonade und Zahn-Karies: eigentlich ist Limonade nichts Gefährliches. Trinken jedoch Milliarden von Menschen vor allem in jungen Jahren sehr viel dieses stark zuckerhaltigen Getränks, so hat das Folgen für die Gesundheit der Zähne von sehr vielen Menschen.

Manfred Spitzer, Die Smartphone Epidemie

Pokemon Go

In einem Kapitel nimmt Spitzer auf das Spiel Pokemon Go Bezug und hält dabei gleich zu Beginn fest, dass es nicht egal ist womit die Menschen ihre Zeit vertreiben:

Man nennt das, was viele Menschen tun, auch Kultur, und jede Kultur wirkt auf die Mitglieder einer Gemeinschaft zurück.

Manfred Spitzer, Die Smartphone Epidemie

Die Literatur zur Spielsucht belegt, dass Spielen häufig als Vermeidungsstrategie herhalten muss (Spielen, um die reale Welt zu vergessen). Probleme werden dadurch aber nicht gelöst, sondern trotz aller Versuche diesen zu entfliehen mit der Zeit größer. Dies wiederum resultiert laut Spitzer in vermindertem Wohlbefinden, mehr Angst, Stress und letztlich Depression.

Cartoon zur Kulturkritik an Pokemon Go

Spitzer weist auf den normativen Aspekt von Kultur hin:

[…] denn es geht nicht nur darum, was sie erleben und tun sollen. Kultur kann gesund sein, unsere Bildung fördern und unsere Prosozialität steigern. Kulturprodukte, die der Gesundheit, der Bildung und dem Sozialverhalten schaden – insbesondere, was die nächste Generation anbetrifft – brauchen wir nicht.

Manfred Spitzer, Die Smartphone Epidemie

Technikzentrierung anstelle positiver Digitalisierung

Über die Jahre hat sich eine regelrechte Digitalwirtschaft entwickelt. Profite sind hier die treibende Kraft, erst danach – wenn überhaupt – geht es um die positive Entwicklung der Kinder und Jugendlichen.

Spitzer beschreibt dieses Phänomen am Ersatz von Tafel und Kreide (mitsamt Büchern, Schreib- und Rechenheften) durch digitale Endgeräte (Laptops, Tablets oder Smartphones) sowie die Anbindung an das Internet.

Quer über alle Parteien in Deutschland wurde das Ende der Kreidezeit proklamiert. Dass es aber nicht reicht, Technik ins Klassenzimmer zu stellen, sondern es eine sinnvolle Nutzung dieser benötigt, wird dabei oft übersehen. Der kritische Geist darf selbst Überlegungen anstellen warum beispielsweise am MIT (Massachusetts Institute of Technology) noch immer mit Kreidentafeln gearbeitet wird.

Personalisierte Werbung

Ob Facebook, YouTube oder Co. – letztendlich versuchen nahezu alle großen IT-Konzerne mit Empfehlungsalgorithmen und individuell zugeschnittener Werbung die User zu möglichst hoher Nutzungszeit zu bewegen.

Wie bekommen wir so viel wie möglich von Ihrer Zeit und bewussten Aufmerksamkeit?

Sean Parker, Facebook Mitbegründer

Derartig personalisierte Werbung ist um ca. 50 Prozent effektiver als herkömliche Werbung (nicht personalisierte oder falsch personalisierte Werbung).

Die Firma Cambridge Analytica hatte hier sehr früh das Potential erkannt und in Folge für eine politische Einflussnahme der US-Präsidentschaftswahl gesorgt (es darf bezweifelt werden ob Donald Trump sonst US-Präsident geworde wäre). Aber auch in Europa wurden Hunderte Millionen (!) Datensätze von Facebook analysiert, um personalisierte Werbung mittels sensibler Daten zu versenden.

Letztendlich muss uns allen bewusst werden, dass durch die missbräuchliche Verwendung von Informationstechnik demokratische Prozesse in bisher ungeahnter Dimension gefährdet sind. Entscheiden Sie selbst ob genug gegen die Datensammelwut der (oft US-) Konzerne unternommen wird! Wer WhatsApp etwa statt Signal verwendet, leistet dazu selbst seinen (leider negativen) Beitrag. Es reicht folglich nicht, Lösungen jeweils von den „anderen“ einzufordern – jeder selbst ist gefragt, bewusster mit der Datenflut umzugehen.

Verbreitung von Unwahrheiten

Lügen verbreiten sich viel schneller im Netz als die Wahrheit. Die automatische Verstärkung von Lügen gefördert durch Social Media (z.B. Twitter/X) führt in Folge zu einer erhöhten Radikalisierung und zu einem Verlust an Wahrheit (vor allem online). Wahre Nachrichten brauchen im Vergleich zu falschen Nachrichten ca. sechs Mal so lange bis sie einen ausgewählten Personenkreis erreichen. Falsche Nachrichten werden zudem mit ca. 70 % höherer Wahrscheinlichkeit geteilt als wahre. Falsche Nachrichten weisen einen höheren Neuigkeitswert auf und rufen stärkere Emotionen hervor.

Gerade Kindern und Jugendlichen fällt es aber besonders schwer, Fake News zu entlarven.

Was durch solche Maßnahmen nicht verhindert werden kann, ist ein allgemeiner Vertrauensverlust in unsere Massenmedien als Lieferanten glaubwürdiger Informationen. Da es sich bei Vertrauen um eine weitere Grundfeste unserer Gesellschaft handelt, ist auch dieser Verlust an Vertrauen nicht anders als der Verlust an Wahrheit, als gesellschaftsgefährend einzustufen. Wollen, oder besser: dürfen wir der weltweiten Werbung wirklich all dies opfern?

Manfred Spitzer, Die Smartphone Epidemie

Noch einmal zusammenfassend: das Geschäftsmodell großer Internetfirmen wie YouTube, Facebook, Twitter/X & Co. führt systematisch und automatisch zu mehr Radikalität, Falschheit, Ausspionieren von Privatheit und Manipulation. Es bedarf dringend einer Änderung dieses Geschäftsmodell, denn wir bezahlen schon heute mit unsere Daten dafür einen zu hohen Preis!

Intelligenzquotient IQ

Seit Beginn der Jahrtausendwende ist eine Verringerung des IQ bemerkbar. Spitzer sieht hier die Qualität der Schulen und den Medienkonsum als mögliche Ursachen der gefundenen Abnahme und beziffert den wirtschaftlichen Schaden weltweit auf mehrere Hunderte Milliarden Euro pro Jahr. Hierbei sind die negativen Auswirkungen geringerer Bildung auf die Gesundheit (und die damit verbundenen Kosten) noch nicht eingerechnet.

Fazit

Mehr Technologie im Klassenzimmer bedeutet nicht automatisch ein besseres Lernen. Es kommt immer auf das WIE darauf an ob Digitalisierung letztendlich positiv gestaltet werden kann. Wenn man dies außer acht lässt und auch keine Lösungen für den zu frühen (privaten) Smartphone-Konsum unserer Kinder & Jugendlichen findet, besteht das Risiko, dass die Kluft zwischen Fähigkeiten gemäß Selbsteinschätzung und tatsächlichen Fähigkeiten bei den jungen Menschen immer weiter auseinandergeht!


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